Donnerstag, 2. April 2015

kristina lugn zu angst

Ein Hörer der Sendung "Allvarligt talat" ("Ernst gesprochen") ruft an und fragt die Poetin und Mitglied der schwedischen Akademie Kristina Lugn, was man gegen Angst tun könne und welche Erfahrungen sie damit gemacht habe. Ihre Antwort:

Angst ist ein sehr starker psychischer Schmerz. Ich weiß nicht, was man tun, zu wem man gehen sollte. Wenn es sich um starken physischen Schmerz handeln würde, wäre ich viel besser zu den Hilfsmöglichkeiten informiert.

Angst kann verschiedene Varianten kleinerer Schmerzen enthalten, die in den großen alles umfassenden und mörderischen Schmerz eingefügt werden. Es kommt oft vor, dass man beinahe ohnmächtig wird und den Telefonhörer nicht heben, nicht zu einem Nachbarn gehen und um Hilfe beim Anrufen eines Taxi oder eines Krankenwagens bitten kann. Wenn man ins Krankenhaus kommt, kann es sein, dass einem noch schlimmeres zustößt, aber davon möchte ich dir nicht erzählen, denn ich weiß, dass es Hilfe gibt. Es gibt sogar Rettung auf dem Kompetenzgebiet der Gesundheitsämter. Das Problem ist, dass man bei Angst so ein dringendes Bedürfnis nach einem Menschen hat. Eine beruhigende Tablette kann Zutritt zu einer grünenden Pause, einem kraftsammelden inneren Ort gewähren, aber nach nur einem lang anhaltenden Augenblick geht man wieder nackt durch Stacheldraht auf Beton und Asphalt mit Tiefen der Leere über und unter sich und dröhnenden Geräuschen aber keiner Stimme.

Wahrscheinlich stimmt es, dass die neuen SSRI-Präparate helfen. Ich empfehle dir, daran zu glauben. Du hast nichts zu verlieren, davon überzeugt zu sein. Kognitive Therapie ist sehr effektiv gegen bestimmte Arten von Angst. Ich selbst kann keine Hilfe gegen deine Angst bieten, da ich sie nicht kenne, da mir die Kenntnis jenseits meiner eigenen Erfahrungen fehlt. Aber. Ich weiß, dass Angst immer vorbeigeht. Sie kommt zurück, aber sie geht immer vorbei. Ich glaube, dass die maximale Ausdehnung in der Zeit für die Angst einer Viertelstunde entspricht. Dann wird sie vom Körper weggestoßen. Es gilt, die Pausen zwischen den Angstattacken in sehr geschickter Art und Weise zu nutzen. Spazieren, geh raus, spazierengehen! Lass dich krankschreiben und geh raus, spazierengehen! Es hilft, stundenweise spazierenzugehen. Man wird müde. Die Müdigkeit ist ein Freund.

Die Angst weckt uns oft früh morgens, gerne in der Stunde des Wolfs, gegen vier. Es ist so, als mache sich die Angst Sorgen, dass wir sonst nicht genug Zeit miteinander verbringen würden. Ich versuche, mich davon abzuhalten, die Angst als ein Teil von mir zu betrachten. Sie ist vielmehr eine eifersüchtige Schwester, die nicht möchte, dass ich diejenige werde, als welche ich bestimmt bin, zu sein. Mit ihr kann ich reden. Dann wird die Angst etwas, wogegen ich mich verteidigen kann. Gegen sich selbst zu kämpfen macht mehr Angst. Einen Freund muss ich haben. Wenn ich sonst keinen Freund habe, muss ich mein eigener Freund sein. Das muss die Angst hinnehmen. Sie muss außerdem hinnehmen, dass ich den Willen und das Recht habe, an irgendetwas anderes als mich selbst und meine verdammte schreckliche Angst zu denken.

Die Angst ist eine Besatzungsmacht. Sie hindert mich daran, in meinem Land zu leben. Dazu hat sie kein Recht. Denk nicht an deine Lebenssituation zurück, wenn du Angst hast. Denk an andere Menschen. Stell dir vor, dass du in einem Land lebst, in dem du von jemandem anderen als dir selbst mit dem Tode bedroht wirst. Sicher würdest du dann anfangen, um dein Leben zu kämpfen. Wenn du es nicht lassen kannst, an deine Lebenssituation zu denken, denk dann auch daran und an diejenigen, die diese Situation mit dir geschaffen haben und an die, deren Lebenssituation du jetzt bereitest. Du bist nicht in dir selbst eingesperrt. Eigentlich geht es nur darum, eine Tür aufzumachen und frei zu werden.
Ich weiß, wie schwer das ist. Die Angst ist solch eine grausam isolierte und isolierende Erscheinung. Doch der Mensch ist Teil eines sehr großen Zusammenhangs. Der Mensch ist viel größer als seine Verzweiflung. Die Angst misst mir allzu viel Bedeutung bei. Sie sollte sich mit etwas anderem beschäftigen als damit, mein Leben zu zerstören.

Es ist gefährlich, anderen Menschen Ratschläge wegen Angst zu geben, und deshalb tue ich das nicht. Ich erzähle von meiner Erfahrung so wie du mich gebeten hast. Nun, es gibt Schmerzlinderung. Es ist skandalös, dass es so schwierig ist, Schmerzlinderung gegen Angst zu bekommen. Schmerzlinderung ist niemals suchterzeugend. Keiner sagt einem Patienten mit zersplitterter Kniescheibe, dass er kein Morphin aus Risiko vor Abhängigkeit kriegen solle. Ich will immer eine Einschlaftablette in der Nähe haben. Das liegt nicht daran, dass ich betäubt sondern wach sein will. Es liegt nicht daran, dass ich meine Probleme wegdrängen sondern Kraft zur Lösung derer haben will. Wenn ich weiß, dass ich jede Nacht ein paar Stunden schlafen kann, weiß ich auch, dass es einen Freiraum mit Fahrkartenkontrolleuren gibt, die der Angst verbieten, in meine Ruhe schwarz hineinzufahren. Und dann kann ich einen Vertrag mit der Angst schließen: Jetzt trage ich dich; jetzt schlage ich dich; jetzt gebe ich dir meine Aufmerksamkeit; aber letztlich und schließlich soll nicht ich zur Hölle fahren - sondern du.